»Das Auge, das gereist ist, ist klüger.« Unter diesem Gesichtspunkt schicken die Massai ihre jungen Männer auf Wanderschaft. Und mit dieser Erkenntnis kehrte eine Gruppe Kirchenvorsteher und Jugendlicher aus Königswartha von einem Besuch aus Tansania zurück. Eingeladen wurden wir zur Weihe der Kirche von Lorico, für deren Entstehung die Königswarthaer seit Jahren gesammelt hatten. Es waren unbeschreibliche Tage voller Freude, Gastfreundschaft und Musik zur Ehre Gottes am Fuße des Kilimanjaro. Endlich krabbeln den Christen von Lorico nicht mehr während des Gottesdienstes die Sandflöhe die Beine hoch, gibt es einen ausreichend großen Raum für den Gottesdienst, da die Mitfeiernden in den vergangenen fünf Jahren auf das Dreifache angewachsen sind. In den letzten Wochen hat Gott seinen Segen in Form von Regen geschickt. Die lange Dürre hat ein Ende. So spendet die kürzlich gelegte Wasserleitung auch Wasser. Für den Kirchenbau mussten die Christinnen das Wasser noch auf dem Kopf vom Fluss im Tal herauf tragen. Der Mensch kann ohne Strom leben, aber ohne Wasser wird das Leben unwürdig. Nun ist so viel erreicht. Nach den nicht enden wollenden Festreden wird die gebratene Ziege aufgetragen. Sie wird dem Bischof geschenkt, der einzelne kleine Stücke weiter reicht. Jede Pause wird von einem der vier Chöre sofort genutzt. Der Posaunenchor wandelt sich zu einer Dixieland-Band. Der wohl erste Bus, der je diesen Ort erreicht hat, wird zur Tanzfläche. Die Freude kennt kein Halten mehr. Erst die plötzlich hereinbrechende Dunkelheit ermahnt viele, dass sie einen nicht ungefährlichen, mehrere Kilometer langen Heimweg vor sich haben. So wird das Überreichen der mitgebrachten Geschenke für die Kinder auf den nächsten Tag verlegt. An diesem erhielt jedes Kind einen Buntstift und ein weißes Heft, einen »Luxus«, den sich viele Erwachsene nicht leisten können. Zu Beginn des Kindergottesdienstes werden zwischen den Liedern die 10 Gebote und das Glaubensbekenntnis aufgesagt. Aufgrund unseres Bittens wurden die Kerzen auf dem Altar angezündet. Eine Ausnahme, brennende Altarkerzen sind ansonsten zu kostbar für den Kindergottesdienst, obgleich die Kirche voller rhythmisch klatschender und singender Kinder ist. Am darauffolgenden Tag überlegen wir mit dem Pastor, dem Evangelisten und Kirchenältesten, wie es weitergehen soll. Die Schule ist zu weit weg und für viele zu teuer. So liegt es nahe, die Kirche in der Woche als Herberge eines Kindergartens zu nutzen. Kinder zwischen drei und sechs Jahren sollen da hinkommen dürfen und lesen und schreiben lernen. Ohne Gebühr ist auch dies nicht zu finanzieren. Aber für die Ärmsten wird ein Hilfsfond eingerichtet. Alles ist aufregender als die Besteigung des Kilimanjaro vor fünf Jahren. So vielen Menschen können wir helfen und sie erfreuen. Vom Bischof eingeladen, erfahren wir auch dessen Dankbarkeit. Dieses Jahr - so hofft er - greift der Schuldenerlass und Tansania braucht nur noch 40% des Nationaleinkommens zur Schuldentilgung verwenden. Bis jetzt waren es 60%. Der derzeitige Präsident Mkapa hat großes Vertrauen unter der Bevölkerung und ausländischen Diplomaten errungen. In seinem Kampf gegen Amtsmissbrauch entließ er zum Beispiel einen Staatssekretär, der eine Straße asphaltieren lies, damit er, der Präsident, darauf die Taufe seinen Patenkindes erreichen konnte.
Unter diesen Vorraussetzungen könnte der Aufschwung klappen, wenn da nicht der El Niño mit seinen Wetterkapriolen und die Krankheit Aids wären. 20% der Bevölkerung sind HIV-positiv. Wie unverhältnismäßig ist doch die BSE-Diskussion in Deutschland angesichts dieser Problematik!
Wir besuchten noch andere Gemeinden in der Massai-Steppe. Generell erlebten wir eine ausgesprochen positive Bewertung der Mission, die vor 100 Jahren von Leipzig ausging. Die lutherische Kirche bildet heute dort die größte Konfession. Sie sorgt für Primar- und Sekundarschulen. Von 45 Kirchgemeinden nutzen 36 ihre Kirche wochentags für Kindergärten, in die muslimische, adventistische, katholische und evangelische Kinder gehen. Der Partnerdistrikt der Ephorie Bautzen unterhält ein Krankenhaus und fünf an Kirchen gekoppelte Arztstationen. In vielen Einrichtungen der lutherischen Kirche zeugen Plakate von einer engagierten Aufklärungsarbeit. Die Bilder sind eindeutig. Da gibt es keine Tabus. Es geht um Aids, Verhütung, Familienplanung und die Folgen der Beschneidung. Nicht nur unter den Massai wird ein Großteil der Mädchen und Jungen im jugendlichen Alter beschnitten. Schon geringste hygienische Verhaltensänderungen bedürfen eines langen Weges. Vertrauen schöpfen die Menschen gegenüber Christen durch deren Engagement bezüglich der Bildung, der Gesundheit und der Lösung des Wasserproblems. Als wir die Krankenstation Valeska besuchten, musste das Wasser für diese vom ca. 2km entfernten, dreckigen Fluss geholt werden. Nun wurde ein Brunnen genau neben Kirche und Arztstation in den Boden mit der Hand gemeißelt. 10 Meter waren schon geschafft, aber 30 Meter sind mindestens nötig. In einem Monat wird ca. 20 km entfernt die längste Wasserleitung des Gebietes, finanziert durch die Evangelisch-Lutherische Kirche, in Betrieb gehen. Die Zapfstellen überwachen Kirchenälteste, damit nicht heimlich jemand für sich einen Schlauch anschließt und weiter unten nichts mehr ankommt.
Wir haben eine Kirche erlebt, die mit ihrem Mund Gott preist und mit Ihren Händen den Menschen hilft. Unsere Gelder scheinen nirgends effektiver angelegt zu sein, als da. Für spezielle Projekte in konkreten Kirchgemeinden haben wir gesammelt. Unsere Augen sahen, was daraus geworden ist. Wir sind als reiche Menschen gekommen, haben mehrere tausend Mark dagelassen, und sind viel reicher nach Hause geflogen. Die Augen, die gereist sind, sind klüger...